Post-COVID Trends – Einflüsse fürs Design?
Man sitzt derzeit zu Hause fest und hat mehr als genug Zeit zum Nachdenken. Der tägliche Fluss an bedrückenden, besorgniserregenden Nachrichten lässt einen nicht mehr los, obgleich der Erkenntnisgewinn dabei äusserst gering bleibt. Die Gedanken dazu rennen im Kreis oder zick-zack. Zeit, um mal etwas Ordnung ins eigene Denken zu bringen.
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Diesen Post habe ich am 29.03.2020 geschrieben, 7 Tage nach dem Beginn des ersten Lock-Downs.

Als Industriedesigner oder als Entwickler ganz allgemein, gestalte ich mit bestimmten Annahmen im Kopf. Annahmen, die sich über Jahrzehnte professioneller Tätigkeit herausgebildet haben und die zuverlässig in neue Produkte umgesetzt werden.
Nun ist aber auch klar, dass unsere Welt nach durchstandener COVID-19 Krise nicht mehr die gleiche sein wird. Was wird sich ändern, was wird bleiben? Die Experten können einem da keine Sicherheit geben. Wir müssen uns also notgedrungen auf das Gebiet der Spekulation begeben.
Wenn ich nun Produkte plane – und die heute geplanten Produkte werden mit ziemlicher Sicherheit auf eine Zeit nach COVID-19 zutreffen – die sich in diesen veränderten Bedingungen behaupten müssen, dann macht es Sinn, sich über seine Annahmen im Klaren zu sein.
Zukunft denkbar machen
Das Zukunftsinstitut hat einige interessante Artikel über die vermuteten Auswirkungen von COVID-19 auf unser Verhalten veröffentlicht. Der Corona-Effekt – 4 Zukunfts-Szenarien für Wirtschaft und Gesellschaft ist nur einer davon, den man gelesen haben sollte. Ich wollte aber meine eigenen Gedanken dazu entwickeln und hab nach einer passenden Systematik gesucht.
So habe ich mir heute die gute alte Megatrend-Map des Zukunftsinstituts geschnappt und bin einmal alle Trends durchgegangen. Und habe sie mit meinen Annahmen abgeglichen. Eine sehr interessante Übung.
Brainstorming: Was halte ich für wahrscheinlich?
Wenn ich mir heute (im März 2020) vorstelle, wie die Welt nach der Krise ausschaut, so fallen mir viele kleine Details ein, die sich nach der COVID-19 Erfahrung vermutlich ändern werden. Ich habe meine Gedanken einfach mal runtergeschrieben, 94 einzelne Vermutungen, sehr individuell von meinem spezifischen Blickwinkel aus als Designer in Deutschland lebend. Keinerlei Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder Vollständigkeit. Ich poste dies hier auch, um zum Zeitpunkt der überwundenen Krise zurück zu schauen und zu erkennen, wie sich meine Sichtweise auf die Welt geändert hat.
Macht diese Übung doch auch einmal für euch selbst. Hier ist die Original-Megatrend-Map des Zukunftsinstitutes. Und hier ist meine lange Liste mit meinen persönlichen Annahmen für die Zeit nach COVID-19 – sowie jeweils zugeordnet die Trendphänomene aus der Megatrend-Map. (Ergänzung 07/21: inzwischen hat das Zukunfstinstitut mehrere Artikel über die Auswirkungen von COVID-19 veröffentlicht und auch eine Post-Conorna Trendmap kreiert)
Annahme | Trendphänomen | |
1 | Masken tragen wird zum Daily lifestyle gehören | Achtsamkeit, Do-it yourself, Universal design |
2 | Höchste hygienische Standards werden gefordert | Preventive Health |
3 | Social/ Physical distancing wird weiter beibehalten | Achtsamkeit, Supersafe society, Privacy, OMLine |
4 | Gesunder Lebensstil weiter auf dem Vormarsch | Achtsamkeit, Health Literacy, OMLine, Digital Health |
5 | Tele-Health, Fern-Konsultationen werden nachgefragt, um Ansteckung zu vermeiden | Digital Health |
6 | Schwarmintelligenz durch Gesundheitsdaten und KI | Preventive Health, Predictive Analytics |
7 | Die Angst vor der zweiten Welle ist präsent | Digital Health, Open Knowledge, Resonanz-Gesellschaft |
8 | Holistischer Gesundheitsbegriff wird reif, Körper, Umwelt, Stadt, Politik, Global | Holistic Health |
9 | Fitness Boom individualisiert mehr und mehr ins Private | Movement Culture |
10 | Sportlichkeit als Lifestyle geht zurück | Sportivity |
11 | Denksport und andere Fernduelle via Internet | Mind-Sport |
12 | Ernährungsbewusstsein nimmt zu, Richtung Vegan | Flexitarier |
13 | Der Lockdown dauert bis in den Sommer | Supersafe society, Hygge, Lebensqualität |
14 | Einfaches wird wieder mehr geschätzt | Simplexity |
15 | Skin in the game – Gefühl für Aufrichtigkeit | Identitätsmanagement |
16 | Verantwortung wird erwartet | Trust Technology |
17 | Design wird ehrlicher – authentisch | Simplexity |
18 | Vereinssport wird seltener | Preventive Health |
19 | Private Feiern werden kleiner | Downsizing, Wir Kultur, Neo-Tribes |
20 | Großveranstaltungen zunehmend kritisch gesehen | Preventive Health, Downsizing, Supersafe society |
21 | Hygieneverhalten wächst, Germophobia, fremde Berührungen vermeiden, unsichtbare Barrieren | Hyperhygiene, Supersafe society |
22 | Menschenmassen sind out, luftige Gruppen in | Downsizing, Wir Kultur, Neo-Tribes |
23 | China kann zum Vorbild werden | Multipolare Weltordnung |
24 | Grenzen werden betont, Grenzverkehr nimmt ab | Neo-Nationalismus |
25 | Lokale Gruppenbildung unterstützt durch Social Media | Glokalisierung, Social Networks, Gutbürger |
26 | Hilfsorganisationen trenden | Social Business |
27 | Rückholung der Produktion ins Land | Nearshoring, Simplexity |
28 | Individuelle Not-Bevorratungen und -Management | Resonanz-Gesellschaft, Achtsamkeit |
29 | Bullshit-Intoleranz wächst | Achtsamkeit |
30 | Freundschaften durch praktizierte selbstlose Hilfe | Wir-Kultur, Sharing Economy |
31 | Genuß wird anders definiert, achtsamer | Achtsamkeit, Lebensqualität |
32 | Neudefinition von Lebensqualität | Lebensqualität |
33 | Vertrauen in die Politik sinkt | Wir-Kultur, Resonanz-Gesellschaft |
34 | Generationenkonflikt verstärkt sich (ok Boomer) | Sinn-Ökonomie, Social Business, Lebensqualität, Post-Carbon Gesellschaft |
35 | Permanente Verunsicherung bleibt in einigen Teilen der Bevölkerung | Resonanz-Gesellschaft, Social Media |
36 | Rückzug ins Private, Cocooning | Hygge |
37 | Cocooning wird nach draußen getragen | Hygge, Privacy, Preventive Health |
38 | Schutzraum für Familie, Freunde wird ausdefiniert | Neo-Tribes |
39 | „Der engere Kreis“ wird definiert, alles andere ist draußen | Neo-Tribes |
40 | Eigene Bubble, mit anderen zusammenbubbeln | Wir Kultur |
41 | Abstandsregeln führen zu neuen zwischenmenschliche Kommunikationsformen. Reale Emojis, Likes | Wir Kultur |
42 | Mehr zertifizierte Lieferdienste | Alltags-Outsourcing, Dash-Delivery |
43 | Notwendige Flexibilität am Arbeitsmarkt | Multigrafie, Lifelong learning, Flexicurity |
44 | Mehr Telekommunikation und Internet | Smart Devices |
45 | Medizinprodukte herstellen wird normalisiert, Konkurrenten arbeiten zusammen | 3D-Printing, Coopetion |
46 | Messen sind out, Präsentation im Internet werden mehr | Real Digital, Digital Creatives |
47 | Bargeldlos bezahlen wird zum Standard | Trust Technologie |
48 | Verträge via Blockchain ersetzen die Vertragsunterschrift | Blockchain |
49 | Erhöhte Cyber-Kriminalität / Internet Achillesferse | Cybercrime, Trust-Technology |
50 | Privacy-Paradox – Wir wollen Privatheit, aber wir brauchen die Sicherheit aus Big Data, Frühwarnsysteme vs. Datenschutz | Privacy, Big Data, Self-Tracking |
51 | Beschiss und Manipulation in Werbung und Design geht zurück | Digitale Reputation, Post-Gender Marketing |
52 | Die Stunde der Digital Creatives, alles kann digital gelöst werden. | Digital Creatives |
53 | Fahrrad, Roller Boom | Mikromobilität, Bike-Boom |
54 | Weniger Reisen, weniger fern, bewusster | De-Touristification |
55 | Individualverkehr bevorzugt, aber öko | E-Mobility |
56 | Versandhandel boomt | Dash-Delivery |
57 | Meidung von Massenverkehrsmitteln, Neue ÖPNV Konzepte gefordert | |
58 | Weniger Fliegen, schützt die Gesundheit und die Umwelt | Slow Culture, Super-safe society, De-Touristification |
59 | Umweltbewusstsein steigt an, Tempo 100 erstmals denkbar | Post-Carbon Society |
60 | Überhitzung in vielen Bereichen wird zurückgefahren | Slow Culture |
61 | Aus Geiz ist geil wird: sinnvoll Geld ausgeben | Sinn Ökonomie |
62 | Nachweis über die Herkunft wird gefordert | Direct Trade, Post Wachstumsökonomie, Transparenzmärkte |
63 | Abfallvermeidung – vs – Wegwerf-Schutzkleidung | Zero-Waste |
69 | Lokal organisierte Circular economy | Circular Economy |
65 | Tauschhandel boomt | Sharing-Economy |
66 | COVID verbindet sich mit Klimaschutz | Greentec, Lebensqualität, Postwachstums-Ökonomie |
67 | Viele neue Single-Use Produkte aus Sicherheits- und Hygienegründen | Zero-Waste |
68 | Anschaffungen mit Fokus auf Nachhaltigkeit und Sicherheit, Konsumfreude geht zurück | Minimalismus, Slow Culture, Postwachstums-Ökonomie |
69 | Premiumsegment wandelt sich in Richtung Nachhaltigkeit | Lebensqualität, Minimalismus, Slow Culture, Postwachstums-Ökonomie |
70 | Viele Menschen am Existenzminimum | Sharing-Economy |
71 | Hohe Arbeitslosigkeit | Start-up Culture, Gig-Economy |
72 | Von zu Hause aus selbständig | Start-up Culture, Gig-Economy |
73 | Arbeitsplatzsicherheit neu definiert | Co-Working, Gig-Economy |
74 | Homeoffice wird zur Norm | Work-Life-Blending, Cybercrime, open knowledge |
75 | Office löst sich Schritt für Schritt auf | Work-Life-Blending, Cybercrime, open knowledge |
76 | Plattformen fürs Leben und Arbeiten | Plattform Ökonomie |
77 | Bessere Online Tools | Plattform Ökonomie |
78 | Doppelverdienen wird seltener, neue Elternrollen | Progressive Parents |
79 | Systemwichtige Jobs werden aufgewertet | Corporate Health |
80 | Virtuelle Zusammenarbeit wird mehr | Kollaboration, Wir-Kultur |
81 | Weniger Meetings | Kollaboration, Smart-City |
82 | Neue Shopkonzepte, sicherer, mehr Abstand, sinnvoller | Service-Ökonomie, Omni-Channeling, Dash-Delivery |
83 | Internationaler Wettbewerb um die schlauesten Köpfe | Talentismus |
84 | Hochqualifizierte Leute langweilen sich / arbeitslos / pensioniert | Un-Ruhestand |
85 | Ältere Generation muss retten | Downaging, Post-Demografie |
86 | Ausgelassenheit in der Gruppe fällt schwer, Ausgehmeilen auf dem Rückzug | Third Places |
87 | Zusammengehörigkeit ausdrücken | Co-Living |
88 | Die Stadt verliert an Reiz | De-Urbanisierung, Rural Citiys |
89 | Nachbarschaftshilfe weitet sich aus | Urban Manufacturing |
90 | Tinyhouses – klein aber mein | Micro Housing |
91 | Unterhaltung geht in Richtung Wissensvermittlung | Edutainment |
92 | Lernort Schule wird in Frage gestellt | Learning Analytics, Bildungsbusiness |
93 | Fernwartung, Fern-Anleitungen | Augmented Learning |
94 | Mehr selber machen, neue Fähigkeiten erwerben | Open Innovation, Crowdsourcing, Co-Working, Do it yourself, Digital Literacy, 3D Printing |
Was können wir nun damit anfangen?
Das ist sicher der schwierigere Part. Offen gestanden weiss ich das jetzt noch nicht. Ich nehme an, dass diese 94 persönlichen Annahmen meine Entscheidungen beeinflussen werden. Entscheidungen in Designprojekten, Entscheidungen für Investitionen oder Partnerschaften. Ich würde mich jedenfalls freuen, wenn wir diese spekulative Betrachtung auch gemeinsam mit unseren Kunden – für deren Mikrokosmos – anstellen dürften. Unser Angebot zu einem gemeinsamen Workshop Innovationsmanagment steht hiermit.
Ergänzung 1:
Im Zusammenhang mit den oben angenommenen möglichen Verhaltensänderungen habe ich folgende Erkenntnis aus dem Buch „Skin in the Game“ von Nassim Nicholas Taleb gewonnen: Eine intolerante Minderheit – und sei sie auch noch so klein – wird über kurz oder lang die tolerante Mehrheit dominieren. Das Buch gibt viele anschauliche Beispiele dafür.


Markus
Markus schreibt über Design- und Innovationsmanagement, Kreativitätsmethoden, Medical Design und Intercultural Branding. Mehr über...